Wie Propaganda uns lenkt, ohne dass wir es merken
Kriege passieren nicht nur auf Schlachtfeldern, sie finden auch in unseren Köpfen statt. In Zeiten eines bewaffneten Konflikts spielt Propaganda eine zentrale Rolle, um öffentliche Meinung zu formen, Zustimmung zu gewinnen oder Zweifel im Keim zu ersticken. Das ist keine neue Erkenntnis. Der britische Pazifist und Politiker Arthur Ponsonby schrieb bereits 1928 in seinem Buch Falsehood in War-Time über die Mechanismen der Kriegspropaganda. Er fasste sie in zehn Prinzipien zusammen, die bis heute erschreckend aktuell sind.
Diese Grundsätze wurden später von Historikerinnen wie Anne Morelli aufgegriffen und erweitert, um sie auf moderne Konflikte anzuwenden. Auch im Ukraine-Krieg können wir viele dieser Mechanismen erkennen, besonders in der Berichterstattung deutscher Medien. Die Frage ist, wie wirken diese Propaganda-Techniken in einer Gesellschaft, die sich für aufgeklärt hält? Und sind wir wirklich so immun dagegen, wie wir glauben?
Lass uns die zehn Grundsätze durchgehen und dabei untersuchen, wie sie sich auf die deutsche Wahrnehmung des Ukraine-Kriegs auswirken. Spoiler, es wird unbequem.
1. Wir wollen keinen Krieg
Jeder Krieg beginnt mit einem Friedensversprechen, so auch im Ukraine-Konflikt. Deutschland präsentierte sich lange als Vermittler und setzte zunächst auf Sanktionen und diplomatische Lösungen. Doch schon bald kippte die Stimmung. Waffenlieferungen wurden nicht nur akzeptiert, sondern als "Pflicht“ dargestellt. Plötzlich war die Rede von Zeitenwende und historischer Verantwortung.
Dieser Schwenk wird oft mit Moral begründet. Man müsse die Ukraine vor der russischen Aggression schützen. Doch die Rhetorik zeigt, wie geschickt ein vermeintlicher Friedenswille genutzt werden kann, um kriegerische Maßnahmen zu legitimieren. Und mal ehrlich, hätte Deutschland von Anfang an gesagt, es wird Waffen liefern, wäre die Zustimmung wahrscheinlich deutlich geringer gewesen.
2. Der Feind ist allein verantwortlich
In deutschen Medien wird Russland nahezu geschlossen als der Aggressor dargestellt, was angesichts des völkerrechtswidrigen Angriffs nachvollziehbar ist. Doch damit endet oft die Analyse. Geopolitische Fragen wie die NATO-Osterweiterung, alte Konflikte in der Region oder westliche Interessen spielen kaum eine Rolle in der öffentlichen Debatte.
Russland ist der Böse, Punkt. Das spart natürlich Erklärungsbedarf, lässt aber kaum Raum für eine differenzierte Diskussion. Und genau das macht dieses Prinzip so effektiv. Wenn der Gegner eindeutig schuld ist, ist alles, was wir tun, gerechtfertigt. Aber funktioniert Politik wirklich so einfach?
3. Der Führer des Gegners ist dämonisch
Wladimir Putin wird in der Berichterstattung oft als der personifizierte Bösewicht dargestellt, der neue Zar, eiskalter Stratege, Kriegsverbrecher. Es ist fast, als würde man nach einem modernen Pendant zu Adolf H. suchen. Solche Dämonisierungen helfen, klare Feindbilder zu schaffen.
Das Problem? Wenn man den Krieg auf eine einzige Person reduziert, verliert man die tieferen Ursachen aus dem Blick. Gleichzeitig macht diese Personalisierung es leicht, Emotionen zu wecken. Niemand will mit Putin sympathisieren und genau das ist das Ziel solcher Darstellungen.
4. Der Gegner begeht Gräueltaten
Gräueltaten wie die Massaker von Butscha oder Angriffe auf zivile Infrastruktur werden in deutschen Medien ausführlich behandelt und das zurecht. Doch es bleibt auffällig, dass mögliche Vergehen auf ukrainischer Seite kaum Beachtung finden. Berichte über mutmaßliche Misshandlungen russischer Kriegsgefangener verschwinden schnell aus den Schlagzeilen.
Das ist Propaganda in ihrer reinsten Form. Man zeigt nur die Verbrechen des Gegners, während die eigene Seite als moralisch überlegen dargestellt wird. Das mag kurzfristig die Unterstützung stärken, verhindert aber, dass wir uns ein vollständiges Bild machen können.
5. Der Gegner benutzt unerlaubte Waffen
Streubomben, Chemiewaffen, Angriffe auf Krankenhäuser, solche Vorwürfe gegen Russland tauchen regelmäßig in den Schlagzeilen auf. Auch hier gilt, das Problem ist nicht, dass diese Berichte unwahr wären, sondern dass sie den Eindruck erwecken, nur der Gegner handle so.
Dabei wird wenig über die Langzeitfolgen westlicher Waffen gesprochen, die in der Ukraine eingesetzt werden, von Streumunition bis hin zu Panzerlieferungen. Hier könnte ein wenig Selbstreflexion nicht schaden, doch das würde das klare Bild vom guten Westen stören.
6. Unsere Fehler sind unbeabsichtigt
Wenn auf ukrainischer Seite Zivilisten zu Schaden kommen, wird dies oft als tragischer Unfall dargestellt, ein Kollateralschaden. Doch sobald ähnliche Vorfälle Russland angelastet werden, ist die Schuldfrage klar. Diese Doppelmoral hilft, den moralischen High Ground zu behalten, macht aber Diskussionen über die Realität des Krieges nahezu unmöglich.
7. Unsere Verluste sind gering, die des Gegners enorm
Fast täglich hören wir von hohen Verlusten auf russischer Seite, Soldaten, Panzer, Hubschrauber. Gleichzeitig wird über die Opfer auf ukrainischer Seite kaum gesprochen. Die Strategie dahinter? Verluste beim Feind sind ein Zeichen für Erfolg, eigene Verluste könnten die Unterstützung in der Bevölkerung gefährden.
8. Intellektuelle unterstützen unsere Sache.
Deutsche Künstler, Wissenschaftler und Prominente positionieren sich stark pro Ukraine. Solche öffentlichen Solidaritätsbekundungen, oft gut gemeint, tragen dazu bei, dass abweichende Meinungen als unzulässig empfunden werden. Wer nicht mitmacht, gerät schnell ins Abseits.
9. Unsere Sache ist heilig
Der Ukraine-Krieg wird als Verteidigung von Freiheit und Demokratie dargestellt. Das klingt edel, hat aber einen Haken. Wenn der Krieg moralisch aufgeladen ist, wird jede Kritik daran automatisch als unmoralisch abgestempelt.
10. Kritik ist Verrat
Debatten über Waffenlieferungen oder Friedensverhandlungen? Oft Fehlanzeige. Kritiker werden schnell als „Putin-Versteher“ oder „Naivlinge“ abgetan. Diese Taktik sorgt dafür, dass die öffentliche Meinung in der Spur bleibt und verhindert echte Diskussionen.
Fazit: Wie viel wissen wir wirklich?
Die zehn Prinzipien der Kriegspropaganda nach Ponsonby sind eine wertvolle Linse, um zu erkennen, wie Informationen in Kriegszeiten gelenkt werden. Sie zeigen, dass Propaganda nicht plump oder offensichtlich sein muss, um zu wirken. Oft tritt sie subtil auf, als unausgesprochene Annahme, als scheinbar objektive Tatsache oder als moralischer Imperativ. Das macht sie so gefährlich, sie arbeitet nicht gegen den Verstand, sondern mit ihm.
Im Kontext des Ukraine-Kriegs und der deutschen Medienlandschaft fällt auf, wie stark die Narrative in eine bestimmte Richtung lenken. Natürlich, Russland trägt die Hauptverantwortung für die Eskalation des Konflikts, und die Unterstützung der Ukraine ist für viele eine Frage der Solidarität. Aber genau deshalb ist es umso wichtiger, auch die unbequemen Fragen zu stellen.
Warum werden geopolitische Hintergründe, wie die NATO-Osterweiterung, so selten thematisiert?
Wieso gibt es in einer demokratischen Gesellschaft kaum Raum für offene Debatten über mögliche Friedensverhandlungen?
Und warum werden Kritiker oft direkt in eine Ecke gestellt, statt auf ihre Argumente einzugehen?
Die Mechanismen, die Ponsonby beschreibt, führen dazu, dass wir Informationen nur gefiltert wahrnehmen und oft gar nicht merken, wie sehr unsere Sicht auf den Konflikt schon vorgeprägt ist. Medien, Politiker und Meinungsführer spielen hier eine entscheidende Rolle. Dabei ist niemand vor Propaganda gefeit, auch nicht in einer freien und demokratischen Gesellschaft wie Deutschland.
Wenn wir wirklich eine aufgeklärte Meinung bilden wollen, müssen wir bereit sein, Informationen kritisch zu hinterfragen. Das bedeutet, nicht nur die Fehler des Gegners zu sehen, sondern auch die eigenen. Es bedeutet, nicht blind moralischen Narrativen zu folgen, sondern auch die Interessen und Konsequenzen dahinter zu betrachten.
Der Ukraine-Krieg zeigt einmal mehr, wie Propaganda funktioniert, nicht immer als Lüge, sondern oft als Vereinfachung, als Auslassung oder als bewusste Schwerpunktsetzung. Unser Bewusstsein dafür zu schärfen, ist der erste Schritt, um nicht bloß Zuschauer, sondern selbstständige Denker in einer komplexen Welt zu bleiben.
In einer Zeit, in der Informationen jederzeit verfügbar sind, liegt die Verantwortung, sich ein vollständiges Bild zu machen, mehr denn je bei uns selbst.
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