Du meinst über mich zu urteilen?

Veröffentlicht am 13. März 2025 um 16:48

Du meinst über mich zu urteilen? Mich als Nazi bezeichnen?

Ich bin in einer Zeit groß geworden, in der es noch normal war, dass Mama und Papa sagten, „Komm rein, wenn die Laternen angehen.“ Eine Jugend, in der wir unbeschwert draußen spielen konnten, ohne Angst, ohne Sorgen. Egal, wo ich war, ich konnte mich frei bewegen. Es gab natürlich Reibereien zwischen Jugendlichen, hin und wieder auch mal eine körperliche Auseinandersetzung, aber das war normal. Es gehörte einfach dazu, und danach war meistens wieder alles gut. In meiner Jugend war es normal, mit freunden allein auf den Weihnachtsmarkt zu gehen. Es war normal allein in der Innenstadt zu Bummeln. Es war normal mit meinen freunden allein mit dem Zug in die nächste Großstadt zu fahren und das ohne sorgen oder Ängste. Das schöne daran, es ist nichts passiert.

Meine Jugend habe ich in den 90ern und frühen 2000ern in der Skater-Szene verbracht. Jung, wild, draußen, immer unterwegs mit Freunden. In dieser Szene hatte ich viele Kontakte, auch zu Älteren, von denen viele stark links geprägt waren. So wurde mir der Begriff „Antifa“ früh bekannt. Doch ich habe sie weder verflucht noch verteufelt. Im Gegenteil, sie waren Rebellen, genau wie ich. Sie stellten sich gegen das System, gegen den Kapitalismus. Nicht alles davon fand ich gut, vor allem das Zerstören von Eigentum war für mich nie in Ordnung. Aber ich konnte ihre Wut und ihren Protest verstehen.

Und jetzt willst du über mich urteilen? Mich als Nazi bezeichnen?

Nach meiner Jugend kam die Ausbildung und damit auch die erste Wahl. Politik interessierte mich damals wenig. Ich wusste, irgendwann würde ich Verantwortung übernehmen müssen, aber zu dieser Zeit habe ich mich auf das verlassen, was meine Eltern sagten. Also wählte ich in den ersten Jahren CDU.

Mit der Zeit begann ich, mich mehr mit Politik zu beschäftigen. Ich stellte mir Fragen. Was macht die Regierung eigentlich?

Wohin führt das alles?

Ich hatte Zweifel, aber ich hielt an dem Gedanken fest „Wir schaffen das.“ Also wählte ich erneut CDU.

Irgendwann aber merkte ich, dass die Politik nicht alles falsch macht, aber auch nicht alles richtig. Die CDU hat sich gut um die Wirtschaft gekümmert, das konnte man ihr nicht absprechen. Aber was ist mit uns Bürgern, mit dem kleinen Mann, der kleinen Frau? Wer kümmert sich um uns?

So wandte ich mich der SPD zu, der Partei der Arbeiter, der kleinen Leute, so hieß es. Ich hatte Hoffnung, dass sie sich für uns einsetzen würde. Also gab ich ihnen meine Stimme.

Und jetzt willst du über mich urteilen? Mich als Nazi bezeichnen?

Ja ich kritisiere den Krieg in der Ukraine, aber hast du dir auch mal angehört warum?

Weil ich mir meine eigenen Gedanken mache? Weil ich Frieden will? Weil ich nicht daran glaube, dass man mit Waffen einen Krieg gewinnen kann?

Ich weiß, wovon ich spreche. Ich war beim Militär. Ich war im Krieg. Ich war im Ausland. Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn die Kugeln einem um die Ohren fliegen. Wenn es plötzlich wenige Meter neben einem einen lauten Knall gibt und man in einer Staubwolke steht. Ich kenne die Schreie. Ich kenne den Geruch. Ich weiß, wie es ist, wenn Angst und Adrenalin sich mischen und man nur noch funktioniert.

Und du? Vielleicht hast du deinen Zivildienst geleistet, in einem Krankenhaus oder an einem anderen wichtigen Ort, in Wärme, in Sicherheit. Dein Job war essenziell, das steht außer Frage. Aber glaubst du wirklich, dass du über mich urteilen kannst? Dass du mir sagen kannst, wie Krieg funktioniert? Dass du mir unterstellen kannst, ich wäre ein Nazi, nur weil ich ihn nicht will?

Ich habe in meinem Leben einmal einen Bekannten gehabt, bei dem sich im Nachhinein herausgestellt hat, dass er wirklich eine sehr, sehr fragwürdige und rechtsextreme Einstellung hatte. Mit diesem Menschen habe ich den Kontakt sofort abgebrochen. Denn das ist nicht das, was ich befürworten kann. Ich möchte nichts zu tun haben mit Extremismus.

Ich habe in meiner beruflichen und auch privaten Laufbahn immer mit Menschen unterschiedlichster Herkunft zu tun gehabt. Einer meiner besten Freunde kam aus Ghana, ein anderer aus der Türkei, aus Brasilien, aus Asien, aus Polen. Ich habe in Jobs mit Albanern zusammengearbeitet. Eine meiner jetzigen liebsten Kolleginnen, hat ein Transhintergrund. Und weißt du was? Sie alle sind und waren tolle Menschen.

Und nur, weil ich sage, dass wir mehr für unsere Sicherheit in unserem Land tun müssen, meinst du, über mich urteilen zu können?

Mich als Nazi zu bezeichnen?

Ich bin heute ein junger Familienvater. Ich hatte nicht das Glück, von einer reichen Familie zu erben. Ich habe mir alles selbst erarbeitet. Und jetzt, Tag für Tag, spüre ich, wie das Geld weniger wird. Wie das Leben teurer wird. Ich habe den großen Wunsch, meiner Familie, meinen Kindern die Welt zu zeigen, fremde Kulturen, neue Erfahrungen. Ich will, dass sie frei und ohne Angst aufwachsen.

Und du meinst über mich urteilen zu dürfen? Mich als Nazi zu bezeichnen?

Nur weil ich kritisiere? Weil ich die Politik hinterfrage? Weil ich mir verschiedene Quellen ansehe, um mir eine eigene Meinung zu bilden? Seit wann ist das verboten? Seit wann macht mich das zu einem schlechten Menschen?

Warum politisierst du? Warum glaubst du, über mich bestimmen zu können? Warum meinst du, mich und meine Meinung in eine Schublade stecken zu dürfen, nur weil ich kritisch hinterfrage?

Schon oft in der Geschichte hat man Dinge für unumstößlich wahr gehalten, bis sich herausstellte, dass sie falsch waren. Denk nur an den berühmten Rechenfehler beim Spinat. Jahrzehntelang hieß es, Spinat enthalte extrem viel Eisen, weil sich ein Forscher bei der Berechnung um eine Kommastelle vertan hatte. Ganze Generationen mussten deshalb Unmengen an Spinat essen, weil sie glaubten, er mache sie stark wie Popeye. Erst viel später fiel der Fehler auf.

Oder erinnere dich an den Body-Mass-Index (BMI). Jahrzehntelang galt er als Maßstab für Gesundheit, obwohl er ursprünglich nur für statistische Zwecke entwickelt wurde und nie als individuelles Diagnosetool gedacht war. Heute weiß man, dass er viele Faktoren außer Acht lässt, Muskelmasse, Körperbau, Verteilung des Körperfetts. Trotzdem wurde er lange als absolute Wahrheit behandelt.

Oder die angeblich sichere Technik von Asbest, einst als Wundermaterial gepriesen, in Gebäuden, Kleidung und sogar in Kinderspielzeug verarbeitet. Erst später erkannte man die katastrophalen gesundheitlichen Folgen.

Die Wissenschaft kann sich irren, Forscher können Fehler machen, Statistiken können falsch interpretiert werden. Warum also sollte man alles blind glauben? Warum nicht selbst nachdenken, selbst hinterfragen, selbst rechnen?

Und du meinst über mich urteilen zu dürfen? Mich als Nazi zu bezeichnen?

Wo sind die Zeiten geblieben? Die Zeiten, in denen man sich leidenschaftlich, ja auch hitzig über Politik austauschen konnte und sich danach trotzdem noch in die Augen sah? Wo man diskutierte, argumentierte, manchmal sogar stritt, aber am Ende mit einem Handschlag oder einem Lächeln auseinander ging?

Wo ist die Zeit geblieben, in der Meinungsfreiheit nicht nur ein Wort war, sondern ein gelebtes Prinzip? In der man sich gegenseitig herausforderte, ohne den anderen abzuwerten? In der andere Ansichten zwar nicht immer geteilt, aber wenigstens respektiert wurden?

Was ist falsch an dem, was ich mir wünsche? An einer Gesellschaft, in der wir uns wieder zuhören? In der wir Fragen stellen, statt sofort zu verurteilen? In der wir verstehen wollen, statt blind zu verachten?

Warum setzen wir uns nicht einfach mal hin, mit einem Kaffee, einem Bier, was auch immer und reden? Ohne Hass, ohne Vorurteile. Warum hören wir uns nicht einfach zu? Fragen nach dem Wieso?, dem Weshalb?, dem Warum?

Warum ist das verloren gegangen? Und was braucht es, um es zurückzuholen?

Und du meinst über mich urteilen zu dürfen? Mich als Nazi zu bezeichnen?

Denk nochmal nach.

D.S.

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